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Erika Burghart

Wir treffen Erika Burghart, geborene Geißler, Jahrgang 1934, die mit ihrer Familie in der Zollernstraße 30 lebte. Als eingesessene Oberhauserin erlebte sie den Wandel dieses Stadtteils von Beginn des Zweiten Weltkriegs bis heute mit. »Oberhausen war früher nicht so schön wie heute, es gab kaum Grünanlagen mit Ausnahme vom Friedhof«, sagt sie. Ihre Kindheit in Oberhausen während des Zweiten Weltkriegs hat sie geprägt, aber auch gelehrt, nicht alles für selbstverständlich zu nehmen.Frau Burghart lädt uns in den Hinterraum des Unternehmens Elektrogeräte Burghart ein und bittet uns Platz zu nehmen.

Kinderfoto Erika Burghart

Als Kind einer Großfamilie war sie eines von zehn Enkelkindern. Die Familie bewohnte zwei Häusern nebeneinander in der Zollernstraße 30. Das Haus ihrer Kindheit steht schon seit einiger Zeit nicht mehr. Ihre Großmutter hatte eine Wirtschaft, in der auch Frau Burghart und ihre Geschwister tatkräftig mithalfen.
Welche Ereignisse haben Frau Burghart in ihrer Kindheit besonders geprägt? »Der Krieg. Ganz Augsburg und auch Oberhausen waren danach ziemlich zerstört.« Frau Burghart und ihre Familie mussten manchmal in der Nacht zwei bis drei Mal nach draußen, um Schutz in einem Bunker zu finden. Sichtlich bewegt erzählt uns Frau Burghart, dass ihr Mann zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Altstadt in Augsburg gewohnt habe und dieser bereits im zarten Alter von 16 Jahren eingezogen wurde. Nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft zurück kam, sei nichts mehr gewesen wie es einmal war. Das Haus sei zerstört gewesen. Aus der Klasse ihres Mannes im Peutinger-Gymnasium seien drei Viertel der Jungen nicht mehr nach Hause gekommen. »Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen«, sagt Frau Burghart mit traurigem Unterton. Ihr Vater war auch im Krieg, danach wurde er in Russland als vermisst gemeldet. Eines Tages kam er plötzlich wieder nach Hause. »Das war sicher nicht leicht für die Mutter nach so vielen Jahren, die er weg war«, meint Frau Burghart nachdenklich. Die Bombenangriffe liefen immer gleich ab. Zunächst hörte man die Sirenen, dann hat man umgehend versucht sich in Sicherheit zu bringen. Frau Burgharts Schwester, geboren 1943, war zur Zeit des Zweiten Weltkriegs noch klein. Wenn die Sirenen erklangen, musste man sie zuerst in aller Eile ankleiden. Jeden Abend wurde ein Korb fü das Baby hergerichtet. Frau Burghart bemerkt: »Zum Glück war unser Haus nach den Bombenangriffen nie kaputt, sondern wenn, dann nur beschädigt.« Viele verloren ihr Haus oder fanden es in Trümmern wieder. Die Familie Geißler hatte das Glück, dass sie durch die Wirtschaft den Zugang zum Bunker erhielt, da es in der Umgebung kaum sichere Keller gab.

»Es gestaltete sich schwer Nahrungsmittel zu besorgen, weil man Stunden in der Schlange anstehen musste, um Fleisch oder Obst zu bekommen.« Dennoch, so betont Frau Burghart, haben Familien mit halbwüchsigen Söhnen viel größere Probleme gehabt, da sie sehr viel mehr Lebensmittel benötigt haben um alle zu ernähren. »Die Zeit des Krieges hat uns sehr geprägt«, sagt sie mit nachdenklichem Blick. »Wir hatten immer etwas zum Essen, mussten keinen Hunger leiden. Leider sind aber früher sehr viele Menschen durch einseitige Ernährung an Tuberkulose erkrankt.«

Ein besonderer Abschnitt in ihrem Leben war die Schulzeit. Dazu erklärt Frau Burghart, dass sie ab 1940 in die Kapellenschule gegangen ist, dort aber höchstens nur ein halbes Jahr war, da diese später als Lazarett genutzt wurde. Danach fand längere Zeit überhaupt kein Schulunterricht mehr statt. Sie und ihre Schwester sind insgesamt ein Jahr nicht in der Schule gewesen.
In der Kriegszeit mussten sie an eine Schule in Göggingen wechseln. Also haben sie sich jeden Tag mit der Straßenbahn auf den Weg nach Göggingen gemacht. Die Schule dort wurde jedoch auch schnell geschlossen, woraufhin die beiden nach Neusäß geschickt wurden. Auf Vermittlung der Kirche in Oberhausen wurde ein Platz für die beiden an einer Schule in Dillingen gefunden. Dort sind sie mit dem Zug von Oberhausen aus hin gefahren, was fast eine Tagesreise war. »In Dillingen in der Schule haben wir dann auch das erste Mal Klosterfrauen erlebt. Die waren sehr nett zu uns, so etwas war uns Stadtkindern damals fremd«, erzählt Frau Burghart. Kurze Zeit später lebten Frau Burghart und ihre Schwester getrennt von dem Rest ihrer Familie bei einer Familie Haas in Dillingen, die trotz ihrer zahlreichen Kinder die zwei Geschwister aufnahm, um für sie zu sorgen, solange das Leben in Augsburg sehr gefährlich erschien.
Kinderfoto Erika Burghart Frau Burgharts weitere Schullaufbahn spielte sich von 1945 bis 1948 am Maria-Theresia-Gymnasium ab. Damals haben noch die Eltern bestimmt, auf welche Schule man geht, und ihr Vater wollte, dass sie in die Handelsschule gehe, weil sie zu Hause ein Geschäft gehabt haben. Früher ist das Maria-Theresia-Gymnasium noch eine reine Mädchenschule gewesen. Damals gab es sehr große Klassen, weil alle Schulen außerhalb von Augsburg stark überlastet waren. Die Lehrer waren entweder ganz junge Frauen oder Pensionisten, die zurück in den Beruf geholt wurden. Dementsprechend hatten sie auch keine Kontrolle über die großen Klassen gehabt. Die Menschen im mittleren Alter waren im Krieg, kaum einer war noch da. Sie selbst habe ein großes Interesse für Erdkunde gehabt und mit ihrem ersten Gehalt kaufte sie sich dann erst einmal einen Diercke Weltatlas.
Wichtig erscheint ebenfalls, dass Frau Burghart damals Schülerin des ersten Jahrgangs war, für den die Schule im September angefangen hat. Früher habe sie an Ostern angefangen. Die Schule habe Frau Burghart trotz vieler Einschränkungen »sogar sehr viel Spaß gemacht«, antwortet sie ohne jegliches Zögern. Sie sei immer gern hingegangen. Die Lehrer haben sich gut um den Einzelnen gekümmert, da sie damals ledig waren und sich sehr auf ihre Arbeit konzentriert haben. Soviel sie sich erinnern kann, durften die Lehrerinnen, sobald sie geheiratet haben, ihren Beruf nicht mehr ausüben. Die Ferien waren früher weniger als heute. Sie wurden außerdem selten als Entspannung gesehen, mehr als eine Möglichkeit die Familie zu entlasten, indem man mitarbeitete und zu Hause half. Außerdem war Urlaub ein Fremdwort für die Menschen damals. Niemand dachte zu dieser Zeit an Urlaub. Man hatte die kleinen Dinge im Leben zu schätzen gelernt und musste nicht immer fort fahren, wie heutzutage.
»Veranstaltungen für Kinder« waren in Oberhausen nicht zahlreich. Nach dem Krieg gab es wieder Theateraufführungen, die im jetzigen Kurhaus stattfanden, wo man für wenig Geld als Schüler hingehen konnte. »Das war eine tolle Sache«, antwortet Frau Burghart mit strahlenden Augen. Ohne Zögern bejaht Frau Burghart die Frage, ob sie in ihrer Kindheit viel zu Hause mitarbeiten musste. Man habe dies auch gar nicht anders gekannt. »Bei uns in der Wirtschaft waren viele Dienstverpflichtete und es war immer was los«, erwidert Frau Burghart. Als Kinder hatten sie früher immer Riesenmengen von Kartoffeln geschnitten, gespült, Tisch gedeckt, abgeräumt, aber das hat ihnen allen nichts ausgemacht. Zum Spielen sind sie eigentlich nie gekommen. Wenn in der Wirtschaft nichts zu tun war, hatte bestimmt eine Tante ein kleines Kind, auf das man dann aufpassen musste. Man hat immer solange mitgeholfen, bis die Arbeiten erledigt waren.

Familienfoto

Das Gespräch mit Frau Burghart bereitete uns eine unterhaltsame Zeitreise durch die Erinnerungen an ihre Kindheit. Wir verließen den gemütlichen Hinterraum des Elektrogeschäfts und gingen nach draußen zurück durch Reihen von Fernsehern und Küchengeräten. Mit großem Dank für ihre Bereitschaft, mit uns ihre Kindheit zu teilen, verabschieden wir uns.

Text: INES ILIES