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Anna Blon

Anna Agnes Blon wurde am 28.09.1922 in Oberhausen geboren. Sie wohnte dort fast ihr ganzes Leben lang, 61 Jahre davon in der Schißlerstraße 14. Danach zog sie ins Nachbarhaus, in dem sie 26 Jahre verbrachte. Nun wohnt die heute 90-Jährige in einem betreuten Wohnhaus in Pfersee. Dort treffen wir sie dann auch. Ihre Wohnung ist von ihr selbst eingerichtet, mit vielen Erinnerungsstücken aus ihrer Kindheit und ihrer Familie, auf die sie sehr stolz ist. Wie man ihrer Wohnungseinrichtung entnehmen kann, ist ihre Erinnerung an die vergangenen Zeiten sehr stark, vor allem auch an die Kindheit.

Anna Blon

Sie erzählt uns, dass sie das einzige Kind in der Familie war und somit viele Vorteile gegenüber anderen hatte. Außerdem war ihre Familie im Vergleich zu anderen sehr fortschrittlich. Ihre Mutter war eine der ersten, die kurze Röcke trug. Sie nähte für ihre Tochter sehr viel moderne Kleidung, auf die Frau Blon auch immer sehr stolz war. Unsere erste Frage bezieht sich auf ihre Freizeitgestaltung. Damals als Kind waren sie im Winter oft im Curt-Frenzel-Stadion eislaufen. Am Nachmittag hat der Eintritt 5 Pfennig gekostet. Um 17 Uhr sind dann Männer durchgelaufen und haben mit einem Strickspann (einem aus zwei kleinen hölzernen, durch ein Gelenk verbundenen Walzen bestehenden Werkzeug) diejenigen herausgezogen, die keine 10 Pfennig gezahlt haben und nicht länger bleiben durften. Die andere Eisbahn hat 35 Pfennig gekostet, das konnte sie sich aber nicht leisten. Wenn das Licht und die Musik an waren, kostete es sogar 50 Pfennig, das hieß dann »abonniertes Eis«. Manchmal hörte man die Musik von dem anderen Eisplatz aus. Im Sommer war ihre häufigste Freizeitbeschäftigung das Schwimmen, entweder in der Wertach, im Plärrerbad oder im Alten Stadtbad. Sie trainierte auch in einem Schwimmverein, als ihr sozialdemokratischer Turnverein von den Nazis aufgelöst wurde. Dessen Auflösung bedauert sie bis heute. Noch kurz nach der Machtübernahme protestierten die Kommunisten oft in ihrer Straße. Sie sammelten sich und zogen singend durch die Stadt. Manchmal kam es auch zu Beschädigungen an Häusern. Meistens ist dann die berittene Polizei gekommen und hat für Ruhe gesorgt.
Natürlich beeinflusste Adolf Hitlers Politik auch ihre Kindheit. Als er an die Macht kam, war sie 10 Jahre alt. »Aber als Kind bekam man nicht so viel mit«, sagt sie. Deshalb hätten sie damals alle eine sorgenfreie Kindheit gehabt. Die Väter ihrer Mitschülerinnen, die in der Krisenzeit der 1920er Jahre arbeitslos oder Kurzarbeiter waren, bekamen durch Hitler wieder Arbeit. Sie waren wieder zufrieden, denn so konnten sie ihre Familien wieder versorgen. Erinnern kann sie sich auch noch gut an die Hitlerjugend. Frau Blon erinnert sich, dass ihr Vater ihr zuerst verboten habe, dort mitzumachen. Doch letztendlich konnte sie sich durchsetzen. Lachend erzählt sie uns, dass sie sonst jeden Mittwochnachmittag in den Unterricht hätte gehen müssen, und dieser Nachmittag war außer dem Samstag der einzige Zeitraum, an dem sie frei hatte. »Wer zur Hitlerjugend ging, hatte dann da schulfrei«, sagt sie. Deshalb war ihr die Hitlerjugend wichtig und sie wollte ihren Vater unbedingt überzeugen. Man traf sich, spielte Spiele und machte Ausflüge, von Politik hörte man dort nichts. Und 20 bis 25 Pfennige Beitrag waren dafür ziemlich günstig.

Anna Blon rettete ihr Poesiealbum nach einem Bombenangriff vor den Flammen

Dennoch ging auch an ihr der Krieg nicht ohne schreckliche Erlebnisse vorüber. Als sich der erste große Bombenangriff auf Augsburg 1942 ereignete, starben viele Häftlinge in den Splittergräben beim »Messerschmitt«. Davon hat man damals viel gehört. Auch ihr selbst ist Schreckliches passiert. Bei einem nächtlichen Luftangriff durchschlug eine Bombe das Dach von Frau Blons Haus. Zum Glück traf sie einen Blocker, ein Bohnerbesen, der aus Eisen besteht und deshalb auch sehr stabil ist. Somit konnte Schlimmes verhindert werden. Sie kann sich nicht mehr genau erinnern, wie sie so glimpflich davonkommen konnten, es kam ihr wie ein Wunder vor. Einer ihrer Nachbarn war Nachrichtenhelfer und besaß deswegen eine Gasmaske, mit der er ins Feuer gehen und den Brand löschen konnte. Nebenan jedoch brannte ein Kohlenlager tagelang, da dort auch eine große Menge an Holz gelagert wurde. Dies führte dazu, dass Fenster und Hausfassaden verkohlt waren und alles stank. Die Leute flüchteten an die Stadtgrenzen, denn ihr Zuhause hatte keine Fenster mehr und der Winter war so kalt, dass sogar das Wasser in den Schläuchen der Feuerwehr gefror.

Wir erkundigen uns nach ihrem beruflichen Werdegang. Zur Schule ging sie auf die Pestalozzischule in Oberhausen, »die höhere Töchterschule im 2. Stock«, wie sie immer sagt. Nach ihrem Abschluss ging sie in die Lehre. Eigentlich wollte Frau Blon 1936 Drogistin werden, wie ihre Patin. Doch da die Drogerie in jüdischem Besitz war, hätte sie dort keinen Lehrvertrag bekommen, denn die Gesetzgebung der Nationalsozialisten belastete insbesondere seit den Nürnberger Gesetzen 1935 das Verhältnis zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Bevölkerung. Also begann sie eine Lehre beim »Konsum«, einer Genossenschaft, deren Mitglied man nach einmaliger Zahlung von 30 Mark werden konnte. Da sie jedoch so klein und zierlich war, wollte ihr Chef sie ins Büro schicken. Doch von dieser Idee war sie nicht so begeistert und so wurde sie, nach drei Jahren Ausbildung Verkäuferin. Freudig erzählt sie uns, dass sie dies »mit Leib und Seele« war. Die Erinnerung daran freut sie auch heute noch. Vor allem reichte damals das Geld, im Gegensatz zu heute, zum überleben.

Rückblickend hat Frau Blon den Eindruck, dass man mit dem Wenigen, das man verdiente, besser zurecht kam, jedoch hat es auch vieles nicht gegeben, Kaffee beispielsweise war ein Luxus. Es existierten Einschränkungen, mit denen sie aber auch leben konnte, da sie es nicht anders kannte.
Ein freudiges Ereignis war das Kennenlernen ihres Mannes 1945, nach dem wir sie fragen. Er kam damals aus der Kriegsgefangenschaft und zog ihr gegenüber ein. Zwei Jahre später heirateten die beiden. Ohne eine Heirat hätten sie nicht zusammenleben dürfen. Es wäre auch gar nicht anders gegangen wegen des damaligen Wohnungsmangels, da fast 86 Prozent der Stadt durch den Krieg zerstört wurden. Man hatte Glück, überhaupt als Familie eine Wohnung zu finden. Entsetzt erzählt sie, dass es nicht einmal ein Bad gab, was ja heute unvorstellbar ist. Wohnungen mit Bad kannte man damals in der Regel nicht, auch eine eigene Toilette war die Ausnahme. Die Familie von Frau Blon benutzte die Gemeinschaftstoilette ein Stockwerk tiefer. Die Blons zählten zu den ersten im Viertel, die ein Spülklosett bekommen haben, da ihr Haus dem »Konsum« gehörte. Ansonsten gab es überall die Plumpsklosetts. »Früher ist man in die Waschküche gegangen und hat alle vier Wochen gewaschen oder auch mal nach drei, wenn es eine große Familie war, da hatte man nicht jeden Tag was Frisches. Man hat einmal in der Woche seine Kleidung gewechselt und man hat ein Sonntagsgewand gehabt, für die Kirche und besondere Anlässe«, schildert sie uns.

Nach all den spannenden Geschichten verging die Zeit bei Frau Blon wie im Flug. Wir bedanken uns ganz herzlich bei ihr, dass wir sie zu ihrer Kindheit befragen durften, und für ihre herzliche Gastfreundschaft.

Text: ANGELIKA SCHWARZ & TANJA ROGAL